Bob Dylan gab mir
einst einen Kompass ohne Norden,
so treibe ich verloren in
ein unbekanntes Morgen. –Kompass ohne Norden
Es ist ein kleines Wunder, das da am 12.04.13 das erste Mal
über die deutschen Ladentheken gereicht und (hoffentlich nicht zu unsanft) von
den DHL-Wägen geschubst wurde. Obwohl von Einigen die HipHop-Hoffnung für Intellektuelle, von anderen durchgestylter Hipster-Kitsch genannt,
trägt es offiziell den Namen Kompass ohne
Norden. Vater: Friedrich Kautz alias Prinz PI, Mutter: unbekannt (man
vermutet, dass „die Gesellschaft“ nicht ganz unbeteiligt war).
Mich hat die Welt
zerknüllt. Ich war mal ein weißes Blatt.
Bin jetzt so
unbeschrieben wie die Mauern meiner Stadt.
Wenn ich spring, dann um
nie wieder zu landen.
Fahr Auto in Gedanken
an James Dean in Giganten. –Die letzte Ex
So stimmig und in sich geschlossen waren wohl wenige der
Alben, die ich in letzter Zeit gehört habe. Zum einen mag das an den
einzigartigen Werkzeugen liegen, mit denen Kautz und Matthias Millhoff da
rumgebastelt haben – bzw. an denen sie rumgebastelt haben. Denn wie
schon vielmals im Vorfeld erwähnt und betont, kam hier kein Standard Equipment
zum Einsatz: es wurde selbst gewerkelt, getüftelt und gelötet. Der Fleiß hat
sich ausgezahlt: ein warmer, voller Klang, der aber in den richtigen Momenten
nicht zu glatt wirkt.
Dem stilistischen Wandel des ehemaligen Prinz Pornos wurde
schon auf den Alben Rebell ohne Grund
und Hallo Musik (beide 2011) der Weg
bereitet. Darüber muss man nicht groß diskutieren: Menschen verändern sich
ebenso wie Künstler. Punkt.
Der Lebenslauf ein
Slalom, ich gehe mit dem Wind.
Kein Bild das auf mich
passt,
ich weiß nicht, wer ich bin. –Säulen der Gesellschaft
ich weiß nicht, wer ich bin. –Säulen der Gesellschaft
Ein weiterer Grund für den Erfolg des mittlerweile 15.
Studioalbums des Berliners (letzte Woche feierte Kompass ohne Norden Platz 1 der deutschen Charts) sind aber nicht
minder die brillanten Texte. Ein Bild der Gesellschaft zeichnen, das wollen und
machen viele im Moment. Bietet sich ja auch an: so ge- und zerstört wie wir durch
das Web 2.0 mit chemische Drogen und strahlenden mobilen Endgeräten im Gepäck hüpfen,
sind unsere Großeltern trotz eines Weltkrieges nicht geworden. Mag sein. Ich
für meinen Teil finde uns ja alle gar nicht so gehirngefickt, wie wir immer
tun, aber dazu mehr an anderer Stelle.
Ich friere in meinem
Atelier, während auf der Staffelei
die Leinwand steht,
mit dem Großportrait von meiner Zeit. –Moderne Zeiten
Zurück zu Herrn Kautz: Was dieses Gesellschaftsportrait so
besonders macht, ist seine Direktheit. Und das mal nicht mithilfe einer handvoll
Verallgemeinerungen, denen es vorne und hinten an Inhalt fehlt: Viele kleine
Beispiele, Anekdoten, Erinnerungen und Beobachtungen reichen aus, um eine
scharfe Skizze zu zeichnen. Man erkennt sich selbst wieder.
Albumbesprechungspausendialoge wie „Ey cool, der Prinz scheint James Dean auch
zu mögen.“ oder „Man Digga, DeLorean! Das ist doch der aus Zurück in die Zukunft!“ sind denkbar. Hier werden die großen
universellen Themen (Liebe, Zukunftsangst, Depression, Orientierungslosigkeit)
im Detail auseinandergenommen. Bei solch einer Detailverliebtheit ist das
folgende am erstaunlichsten: Auf Kompass
ohne Norden wirkt nichts überladen, unnötig oder gar fehl am Platz. Alles
passt, alles sitzt und ist auf das Wesentliche reduziert. Ganz ähnlich einer
Mathegleichung, deren Lösung erst dann als abgeschlossen anerkannt wird, wenn
das Ergebnis vollständig gekürzt und aufsummiert wurde.
Ja wir Deutschen und
unsre sklavische Art,
keiner hat damals
mitgemacht, keiner hat mitgelacht.
Aber sowohl Hitler als
auch Mario Barth
haben beide das
Olympiastadion voll gemacht. –Schiefe Pyramiden
Aber da das Leben (leider) keine Mathegleichung ist, können
wir bei Kautz’ neuem Album auch nicht auf eine Lösung hoffen. Wir bekommen
die Probleme volle Breitseite ins Gesicht gepfeffert, das hilft. Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg
zur Besserung. Wie diese Probleme anzugehen sind, muss jeder selbst wissen.
Patentlösungen sind für komplexe Gleichungen grundsätzlich ausgeschlossen.
Ich wär’ so gerne
dumm, wäre so gerne dumm.
Ich wünschte mir, ich
würde mich zufrieden geben
mit einem
Standardleben, einem Standardjob, Standardgedanken in einem Standardkopf.
...
Doch dann sah ich
dich, sah wie du anders bist.
Eine wie du ist für
den Standardkitsch der Antichrist. –Dumm
Und auch, wenn Dylans Kompass wohl immer noch nicht die
exakte Himmelsrichtung anzeigt, so kann man doch davon ausgehen, dass der Prinz
seinen Weg auch ganz gut allein finden wird. Wenn wir Glück haben, nimmt er uns
bis dahin noch ein paar Alben lang mit.
[VÖ: 12.04.13 auf Keine Liebe Records]
Der Film beginnt mit:
Suche die eine große Liebe.
Und bezahle dafür mit
meinem Frieden seit ich 15 bin.
...
Selbst in der Enge von
der miefigen Kleinstadt
spielen unsre
Kussszenen auf riesiger Leinwand.
Wo wir auch sind,
markieren Balken den Bildrand.
Wir haben
weitergemacht als am Set alles still stand. –Glück
(Prinz PI - Glück) Eines der aktuell 4(!) Videos, die bereits zum neuen Album existieren; Tendenz steigend.